NILS BINNBERG
Aber bitte mit ohne!
Im Wunsch nach Selbstoptimierung wurde unser Kolumnist süchtig nach gesundem Essen – nach Jahren voller Diäten hat er heute eine gesunde Balance gefunden. NILS BINNBERG erklärt seine Sicht auf die Welt der Ohne-Produkte.

Nils Binnberg, 44, hat über seine Sucht nach gesunder Ernährung in dem Bestseller »Ich habe es satt!« geschrieben. Sein neues Buch »Anders essen: Für unsere Welt, unser Klima und uns selbst« erscheint im Frühjahr im Suhrkamp Verlag.
In der Ära von politischer Korrektheit und Selbstoptimierung gibt man sich als Konsument der Ohne-Label als pflichtbewusster Mensch zu erkennen, der die kulturellen Spielregeln der Moral kennt:
Das Gefühl kenne ich bestens. Wenn ich mir morgens Hafer statt Kuhmilch in den Kaffee kippe, fühle ich mich tugendhaft wie Greta Thunberg. Schließlich ist der Kohlendioxidausstoß pro Kilogramm fast dreimal so niedrig wie der von wahrer Milch methanrülpsender Kühe. Allein der Anblick von Öko-Siegeln auf Lebensmittelverpackungen, sagen Studien der Neurowissenschaft, berauscht uns mit Glücksbotenstoffen wie ein Marathonlauf. Ganz nach der Idee: Wenn man schon nicht allein das Klima vorm Kollaps retten kann, dann wenigstens mit dem Essen den eigenen Schaden minimieren. Pflanzendrinks gingen im vergangenen Jahr ein Drittel mehr als im Jahr zuvor über die Kassenbänder, den Klimarettern sei Dank. Ganz nach der Idee:
Wenn man schon nicht allein das Klima vorm Kollaps retten kann, dann wenigstens mit dem Essen den eigenen Schaden minimieren. Pflanzendrinks gingen im vergangenen Jahr ein Drittel mehr als im Jahr zuvor über die Kassenbänder, den Klimarettern sei Dank. »Der Mensch ist, was er isst«, sagte der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach Mitte des 19. Jahrhunderts. Man könnte zeitgemäß umdichten: »Der Mensch ist, was er nicht isst.« In unserer Überflussgesellschaft genießt Verzicht ein hohes Ansehen, darum erscheinen uns Ohne-Produkte besonders gesund. Ein Trugschluss, denn Lebensmittel lassen sich kaum in gesund und ungesund einteilen. Es ist nicht das Teilchen im Grünkohl-Smoothie oder im Selleriesaft, das eine lebensverlängernde Wirkung hat.
Vielmehr sind es Lebensstil, Bildung, Einkommen, die Gene. Im Wunsch nach Kontrolle über das schicksalhafte Leben wurde Essen für mich zu Globuli, zum Heilsversprechen. Mit der Erkenntnis, dass man den Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit nachweislich nicht messen kann, war die Verblendung für mich vorüber. Heute halte ich es beim Essen wie der Natur philosoph Paracelsus: Die Dosis macht das Gift.