After Hours
Freitagabend. Treffpunkt: Die Sechste. Auf den Flächen streift man mit vollen Körben durch die Regale, aus den offenen Küchen dampft und brodelt es, an den Bars herrscht Rushhour.

Daran hat sich seit gut 90 Jahren nichts geändert. Noch eine Stunde, bis das KaDeWe schließt. Dann beginnt hier die Nacht. Neuerdings geöffnet sind dann noch die Wein und die Champagnerbar, die Restaurants Lutter & Wegner, Laggner Schwemme und der Beef Grill Club by Hasir. Celina Plag hat sich auf einen Streifzug begeben.
Irgendwann einmal fährt jeder nach oben in Berlins größtes Restaurant und eines der besten FoodDepartments der Welt. Über den Dächern der Hauptstadt trifft man sich in der Sechsten zum Essen und Trinken. Oder um sich für eine Weile in dem Treiben zu verlieren. Das hat Tradition. 1929 eröffnete das KaDeWe seine »Große Imbisshalle«, damals nach amerikanischem Vorbild mit ziemlich deutschem Namen, die schnell zum Stammtisch wurde für Nachbarn, Prominenz und Intelligenz. Von Harald Juhnke über Vladimir Nabokov bis Angela Merkel hat man hier schon viele Gesichter kommen und wiederkommen sehen. Ein Gläschen in der Sechsten verbindet bis heute Berliner Stammgäste und internationale Besucher – hier oben vermischen sich die Welten.
Die Gäste prosten dem Wochenende entgegen. Jetzt auf einen Château Margaux, einen Sassicaia oder Ornellaia oder an die Weinbar?
Neben den Klassikern finden sich auch ausgewählte unbekanntere Winzer auf der Karte. Alte und junge Jahrgänge stehen nebeneinander am Tresen und ordern Fingerfood zu den rund 40 offenen Weinen – per Knopfdruck können sie sich über das System By the Glass auch selbst bedienen. Industriecharme mit grauem Stahl und offenen Rohren trifft auf klassische BarElemente wie rot gepolsterte Hocker. Ein paar Meter weiter an der Champagnerbar: Heller TerrazzoBoden, goldfarbene Details und Marmortresen sind ein perfekter Rahmen für die französischen Flaschen, die in den Regalen ringsum strahlen.

WEINBAR

Einstein Kaffee

Getränkeauswahl von KaDeWe Die Sechste

Lenôtre
20.30 Uhr. Schlendern über das kulinarische Parkett. Vorbei am Kartoffelacker, hier hängt der Duft von Röstis noch in der Luft. Weiter zu Daluma, wo es kaltgepresste Säfte und frisch zusammengestellte Bowls gibt. Nach dem vietnamesischen Papaya Royal landet man bei Ovest: neapolitanische Pizza bei 480 Grad in 90 Sekunden! Kurzer Zwischenstopp an den Regalen. Noch eine mexikanische ChiliSauce oder italienische Pasta – die zum Verkochen eigentlich viel zu schön ist? In der Sechsten rückt die Welt zusammen.
»Kann man Ihnen helfen?«, fragt ein Mitarbeiter in akkurat sitzendem Anzug. Der gute Geist ist ein Orakel für kulinarisch Unentschlossene. Die Sechste mit ihren knapp 7.500 Quadratmetern ist ein Paradies für Menschen, die sich gern in letzter Minute entscheiden. Also: Laggner Schwemme oder Lutter & Wegner? Die Restaurants teilen sich als Nachbarn eine Küche, bieten aber unterschiedliche Speisen an.
Das 1811 in der Charlottenstraße eröffnete Lutter & Wegner belieferte den preußischen Hof, es speisten dort außerdem Geistesgrößen von E.T.A. Hoffmann bis Hegel. Seit über 20 Jahren liegt das Stammhaus wieder am Gendarmenmarkt. In der holzvertäfelten Dependance im KaDeWe werden verfeinerte deutsche und regionale Gerichte serviert, zu denen man sich aus 200 Weinen den passenden aussuchen kann.

Beef Grill Club by Hasir

Lutter & Wegner
Im urigen, etwas rustikaleren Laggner Schwemme – ebenfalls betrieben von Josef Laggner – kommen hingegen typisch süddeutsche Wirtshausklassiker auf den Tisch, von Schweinebraten mit Kruste bis Bayrisch Kraut und Knödel. Die Speisekarte hängt vor der Tür auf Deutsch und auch auf Englisch, für die internationalen Gäste. Gerade gibt dort Henry de Winter in Frack, mit Fliege und Ansteckblume alte Berliner Chansons zum Besten. Für einen Moment fühlt man sich wie im Berlin der zwanziger Jahre. Nun schnell an die Austernbar, für die letzte Runde dort.

CHAMPAGNERBAR
20.45 Uhr. Serviert werden zwei Franzosen und ein Ire. »An den Deutschen ist nicht viel dran«, sagt der Kellner, der die Austern bringt, mit einer Stimme, so trocken wie der RieslingSekt im Glas. Ein Berliner Original: Zwischen den Stammgästen und der Bedienung herrscht ein freundschaftlicher Ton.
21.05 Uhr. Ein letzter Streifzug durch die jetzt fast leere Welt von Süßem, Tee und Kaffee, die das Berliner Designstudio Karhard gestaltet hat, das auch beim weltberühmten Club Berghain schon Hand angelegt hat. Vorbei an der cremefarbenen Theke von Lenôtre, am Einstein Kaffee, den geschwungenen Candy Counters und den bunten Gondeln, die hier und da von der Decke baumeln, gefüllt mit allerlei Süßem. Die Gondeln kennt man doch – nur woher? Aus dem Film ›Charlie und die Schokoladenfabrik‹, erklärt eine Dame.
Inzwischen haben nur noch ein paar Restaurants geöffnet, im Beef Grill Club by Hasir gibt es noch einen Platz. Im warmen Licht der modernen Lampen fühlt man sich direkt zu Hause. Auf der Karte steht natürlich Fleisch. Das Dry Aged Beef, das hier mindestens vier Wochen ummantelt von Himalayasalz in der Vitrine reift, ist die Spezialität der Familie Aygün, die mit ihren HasirRestaurants in der Stadt bekannt ist. »TBone, Porterhouse, Prime Rib, Chateaubriand« – der Koch erklärt das Angebot. Sein Favorit? »Ganz klassisch: Entrecôte.«
Uhrzeit: sehr spät. Ob das am Steak, den Austern oder dem Champagner liegt? Jedenfalls scheint die Luft im Hasir genauso wie in den Bars drum herum zu prickeln. Zwischen Gästen herrscht eine besondere Art von Aufgeschlossenheit, als gehöre man zu einem geheimen Club, der es hinter die verschlossenen Türen des KaDeWe geschafft hat. Dabei führt in Wahrheit nach Ladenschluss ein Aufzug über einen separaten Seiteneingang rauf und runter.